Sonntag, 28. August 2016

Psychischer Ausnahmezustand



So war es nun wieder ein ereignisreiches Wochenende gewesen, das sich in einen ereignisreichen Sonntagabend neigte.
Die Zahl der Internisten hatte sich auf eins reduziert und eins das war ich.
Alle Kabinen der Notaufnahme waren voller erwartungsvoller Patienten, die Pflegefachkräfte (ein genderneutrales Wort) rannten hin und her und ich stand irgendwo dazwischen und tat, was Ärzte halt so tun.
„Nun“, sagte Schwester Margarita, „Schau‘ im Flur, da liegt Herr Lokodakof. Mit Bauchschmerzen. Er muss sicher noch lange warten, aber kannst du schon mal einen Vorabblick herauf werfen?“
Ich ging, Herr Lokodakof lag aufgrund Kabinenmangel auf einer Liege in einer Flurnische und hatte dort Bauchschmerzen. Nicht allzu schlimm, vermutlich ein Magen-Darm-Infekt. Wir würden etwas Blut abnehmen, ihm schon mal ein Schmerzmittel geben und später noch einen Ultraschall machen.
Zwei Stunden später und mehrere echt dringende Notfälle auch später, lag Herr Lokodakof weiter im Flur und beschwerte sich lautstark über die Wartezeit und dass das Schmerzmittel nicht geholfen hätte.
Aufgrund Herrn Lokodakofs Lokalisation im Flur war ich in genannten zwei Stunden nun aber in hoher Frequenz an ihm vorbeigependelt. So hatte ich ihn unter anderem dabei beobachtet, wie er ein von seinem Bruder herbeigeschafftes Mahl verzehrt und recht unbeeinträchtigt ein Spiel auf seinem Tablet vollbracht hatte. Daher hatte ich auch angenommen, die Schmerzen wären gut behandelt und äh vielleicht auch das Problem an sich nicht ganz so schlimm.
Nun denn, wer weiß, ich sicherte dem Patienten ein anderes Schmerzmittel zu und erklärte es wäre viel los und er müsse noch etwas warten, die Blutwerte hätte ich schon gesehen. Diese wären in Ordnung.

Etwas mehr Zeit verging, draußen wurde es nun dunkel. Es kam die Polizei. Mit sich brachten sie einen Herren, der sich im Dunkeln sehr aufgeregt  und mit Hilfe erhöhten Alkoholskonsums an einer Schlägerei teilgenommen hatte. Im Rahmen dessen wäre er auch aus Versehen gegen eine Wand gelaufen, welche dadurch beschädigt wurde. Ob man den Herren denn so in Haft nehmen könne, wollte die Polizei wissen.
Der Herr an sich schien selbst nicht weiter beschädigt zu sein, wenn auch deutlich betrunken und recht unglücklich über die Anwesenheit der Polizei und deren Anmaßung ihn einfach so mitzunehmen. Daher schrie er auch sehr laut ausgesuchte Beleidigungen in Richtung aller Beteiligten und versuchte eine erneute Schlägerei mit den Anwesenden zu beginnen.
Aufgrund der sehr präzisen Beleidigungen und der auch sonst recht zielgerichteten Schläge, erschien mir der Mann nun nicht allzu sehr beeinträchtigt und ich hätte ihn liebend gerne für haftfähig erklärt. Neben mir erschien nun aber auch der Psychiater und rief aufgeregt: „Dieser Mann ist in einem psychischen Ausnahmezustand! Sie müssen ihn aufnehmen.“ „Wäre das nicht ein psychiatrisches Problem?“ wandte ich ein, während der Herr einen der Polizisten als „Dumme Fotze“ bezeichnete und auf die Nase schlug. „Psychischer Ausnahmezustand“ rief der Psychiater wieder und spritzte dem Patienten Haldol. Dann ging er wieder weg, der Psychiater, denn jetzt war der Patient ja ruhiger und außerdem war er betrunken, das war auf jeden Fall ein internistisches Problem. Oder so ähnlich.
Unter Haldol konnte ich den Mann nun auch sicher nicht der Polizei wieder mitgeben, wir gaben ihm also ein nettes Krankenhausbett und stellten ihn damit in den Sonographieraum, damit wir ihn nochmals ordentlich untersuchen konnte und außerdem war ja sonst kein Platz mehr da. Hier erbrach sich der Patient in einem 2 Meter 50 langem Bogen und traf zielgerichtet unser 50 000 Euro Sonographiegerät.

Schwester Margarita befand sich nun auch in einem psychischen Ausnahmezustand und ich ging aus dem Raum heraus, da ich nicht sicher war, ich mich nicht auch gleich erbrechen sollte.
Es traf ich nun sogleich auf Herr Lokodakof, welcher mich unerfreut aufhielt. Das andere Schmerzmittel habe auch nicht geholfen, keiner kümmere sich um ihn und nun auch das! Er habe ganz genau gesehen dieser Patient im Sonoraum, der sei gerade erst gekommen und SOFORT an die Reihe gekommen. Und er müsse nun schon so lange warten.
Ich versucht nun eine vernünftige Erklärung zustande zubringen, von wegen, dass er ja gesehen hätte, dass man diesen anderen Patienten aus offensichtlichen Gründen nicht alleine lassen habe können.
Herr Lokodakof  ignorierte diese Argumentation. Er werde nun in ein anderes Krankenhaus gehen. Und uns, uns würde er anzeigen.
An dieser Stelle stürmte Schwester Margarita aus dem Zimmer. „Ja,“ rief sie erbost, „hier sehen sie ist ja schon die Polizei, da könne sie gleich ihre Anzeige aufgeben!“ Sie wedelte mit ihrem Arm in Richtung des Polizisten, den unser Patient auf die Nase geschlagen hatte und beide Polizisten schauten Herrn Lokodakof  missmutig an.
An dieser Stelle verließ Herr Lokodakof das Klinikum Beteigeuze und ich rannte ihm hinterher um ihm seine Blutwerte mitzugeben.


Samstag, 20. August 2016

Schlechte Röntgenbilder



Und dann kam Frau Holderbüch von der Aufnahme auf meine Station. Auf dem Aufnahmebogen stand doppelt unterstrichen: „Röntgenbild unbedingt kontrollieren!!!“
Man hätte wohl im Röntgen des Brustkorbes eine tumorverdächtige Formation gesehen.
„Komischer Tumor“, sagte mein Oberarzt, während er mit mir zusammen auf das Röntgenbild starrte.
„Vielleicht ist es eine atypische Tuberkulose oder ein komisches Piercing?“, schlug ich nur mittelmäßig hilfreich vor.
Wir beschlossen die Dame persönlich aufzusuchen.
Einer Eingebung folgend fragte der erfahrene Oberarzt: „Frau Holderbüch, beim Röntgen, hatten sie da auch dieses Hemd an?“
„Ja, ja.“
„Und in der linken Brusttasche haben sie da zufälligerweise was drin?“
„Ich glaube nicht“, Frau Holderbüch fischte etwas in besagte Tasche herum, um dann aber doch triumphierend ein angeknittertes Hustenbonbon hervorzuziehen, „Ah ja. Das hier! Das wollte ich nachher noch essen. Warum? War das ein Problem?“
Öh, schon irgendwie…

(Röntgendichte Bonbons, meine Fresse, ein weiterer Grund, warum man Brustkörbe eigentlich ohne Hemd röntgt.)


Sonntag, 14. August 2016

Arztgeheimnisse?



Herr Dimmsel hatte einen großen Gallenstein. Groß und klumpig saß dieser im Hauptgallengang fest. „Hier, sehen sie?“ sagte ich und deutete diffus auf den Ultraschallbildschirm.
 „Gnim“, sagte Herr Dimmsel, welcher auf Grund zahlreich verwendeter Schmerzmedikamente nicht mehr so ganz klar denken konnte.
„Da müssen sie leider bei uns bleiben“, fuhr ich, „morgen werden wir in einer endoskopischen Untersuchung versuchen den Stein zu entfernen. Die Aufnahmeschwester wird Ihnen gleich ein gutes Bett organisieren.“
„Gnim“, stimmte Herr Dimmsel zu.

„Aber Frau Zorgcooperations“, sagte Aufnahmeschwester Margarita, „Was verspricht du mal wieder für einen Mist. Wir haben kein Bett mehr frei.“
„Herrn Dimmsel könnten wir unmöglich wieder heimschicken.“
„Tja Frau Zorgcooperations, du hast schon die drei vorherigen Patienten aufgenommen, jetzt sind wir voll!“
„Meh, kannst du nicht nochmal suchen, ob wir ihn irgendwo unterbringen können?“
Schwester Margarita seufzte tief, telefonierte sich ein weiteres Mal durch alles Stationen und verkündete schließlich: „Na gut. Das ist zwar eigentlich nicht so gedacht, aber Herr Dimmsel bleibt ja hoffentlich nur kurz: Auf unserer Palliativstation, da wäre noch ein ganzes Zimmer frei. Das dürften wir ausleihen.“

Hocherfreut brachten wir Herrn Dimmsel auf diese Station, der Stein konnte schon am nächsten Morgen erfolgreich entfernt werden und am Nachmittag erschien der Stationsarzt Dr. Minzbi um den weiteren Verlauf des Aufenthaltes zu besprechen.
„Sagen sie mal“, sagte Herr Dimmsel, „sie verschweigen mir doch etwas!!“
„Wie meinen sie das?“
„Na ich sehe doch auf was für eine Station sie mich gelegt haben! Hier sind alle todkrank! Sagen sie mir was ich wirklich habe!“
„Oh“, sagte Dr. Minzbi und führte ein längeres beruhigendes Gespräch.