Sonntag, 30. Dezember 2018

Nein. Kein Kaka. (Symbolbilder für den Alltag)


Nachdem nun die Anzahl an Flüchtlingen, sowie Aus- und Einwanderern gestiegen war, schaffte das Krankenhaus einen komplizierten Anamnesebogen in diversen Sprachausführungen an. Auch solchen von denen ich noch nie gehört hatte. Der Bogen war sehr ausführlich, komplex und in schlechter Qualität kopiert. Diese Kombination verwirrte die potentiellen Patienten. Die meisten füllten ihn deswegen nicht aus. Andere taten das tugendhaft und machten neben ihre Kreuzchen ausführliche Anmerkungen. Die konnten wir nicht lesen, weil wir alle kein Tigrinya verstanden.

So stand ich also plötzlich mit viel zu vielen Menschen im Aufnahmeraum. Der Patientin. Ihr Mann. Jemand, dem ich auf Englisch meine Frage stellte und der alles ins Arabische übersetzte. Eine zweite Person, die keine mir bekannte Sprache sprach, aber dafür Arabisch und Tigrinya. Die übersetzte im Anschluss. Hieraufhin gab die Patientin die gewünschte Information preis oder auch etwas anderes, woraufhin die Übersetzungskette zurück zu mir lief. Besonders gut war es immer im Raum voller männlicher Übersetzter die anwesende, vollverschleierte Frau zu fragen ob sie denn Schmerzen beim Wasserlassen hätte oder wann eigentlich der letzte Stuhlgang gewesen wäre.

Andere Variationen beinhalteten Telefonkonferenzen mit dem Smartphone (ein Hoch auf die neueste Telefontechnologie!) oder die Anamnese über Google Translate und mein privates Datenkontingent. Vorausgesetzt der Patient konnte denn lesen.

Ambitioniert bildete ich mein medizinisches Englisch weiter, um präziser fragen zu können. Damit konnte ich am besten Englisch im Raum. Was nicht weiterhalf, da die wenigsten den korrekten englischen Terminus für Stuhlgang verstanden und man mit dem äh internationalen Wort für Stuhlgang: „Kaka“ am weitesten kommt.

Das Krankenhaus versuchte daher nach dem Misserfolg mit den strangen Anamnesebogen etwas Neues und besorgte das Super-Ikonenbuch in dem es Bildchen für alle möglichen Situationen gab: diverse Sexstellungen, verschiedene Grade an Verschleierung oder die Situation, in der man gleichzeitig von einem Skorpion und einer Schlange angegriffen wird.
Leider war der medizinische Teil sehr kurz und mangelte der Option des Pinkelns, so dass ich regelmäßig pinkelnde Männchen zeichnete um den Patienten klarzumachen: Bitte in diesen Becher hier Urin abgeben. Nein, kein Kaka!

Deswegen machte der Zorg mir extra eigenen Bilder für die wichtigsten Fragen und hier laden der Zorg und ich sie hoch als verspätetes Weihnachtsgeschenk für alle Leute, die kein Tigrinya können.

















































Freitag, 30. November 2018

Korrekte Schattierung an Tiefblau


Dann sagte mein Kollege: „Ich muss noch 5 Patienten entlassen, kannst du diesen Notarztpiepser für 2 Stunden übernehmen.“ „Selbstverständlich“, sagte ich und stopfte den Piepser in meine Kitteltasche. 

„PIEP“, sagte der Piepse daraufhin und ich rettete einen alten Herrn mit Bluthochdruck aus dem Pflegeheim. 

„PIEP“ sagte der Piepser gleich darauf wieder und ich stieg in den nächsten Rettungswagen, der mich am Haupteingang erwartete.

„Jop“, sagte der Rettungssanitäter, „wir fahren jetzt zu einer Geburt. Weißt du oder?“ Natürlich wusste ich von nichts und hoffte, dass dies ein Witz wäre, denn Kinder hatte ich bis jetzt nur theoretisch im Buch zur Welt gebracht. Während des Studiums hatten wir auch eine Babypuppe durch einen Modell-Frauenrumpf befördert, äh und man konnte davon mitnehmen: Kind nicht fallenlassen.

Der Rettungssanitäter machte aber keine Witze, was man auch an seinem kaltschweißigen Angesicht sehen konnte und so hofften wir, dass das Kind vielleicht noch tief im Bauch der Frau lagerte oder möglicherweise schon ganz draußen war; denn beides ist meist die einfachere Variante, bei welcher man alles (Frau, Kind, Tasche) einpackt und schnell zurück in die Klinik fährt.

Zur Sicherheit wollte ich aber im Kopf nochmals alles Geburtsrelevante durch gehen, was mir so einfiel und vielleicht auf meinem Smartphone etwas nachschauen. 

„Gahh, wir sind da!“ rief hier aber der Rettungssanitäter, denn er war besonders schnell gefahren und die in den Fall Involvierten, wohnten nur 5 min von der Klinik entfernt (zumindest, wenn man sehr schnell fuhr). Meine mentale Vorbereitung hatte noch gar nicht so richtig gestartet und ich stolperte aus dem Rettungswagen, der mitten auf der Straße angehalten hatte. Dies war so, da ein wild winkender Mann auf eben jene Straße gerannt war um uns anzuhalten. Panik war in sein Gesicht geschrieben, während er mit lauter Stimme schrie: „Schnell, schnell der Kopf kommt schon! Schnell!“ Ich tat so, als würde ich täglich Geburten beaufsichtigen und erklärte mit ruhiger Stimme, wir würden uns nun professionell darum kümmern. Dann eilte ich dem Mann in die Wohnung hinterher. 

Auf einem großen Sofa lag seine Frau (vermutlich seine Frau) und der Kopf des Kindes war auch schon draußen. Der Einpack- und unauffällig in die Klinik-Fahrplan war damit vorbei.
Ich war nun unschlüssig, ob die Schattierung an tiefblau des Kindeskopfes ein normaler Farbton im Rahmen einer Standardgeburt war oder doch möglicherweise pathologisch.
 „Hallo, ich bin der Notarzt. Zorgcooperations“, sagte ich deshalb zu der Frau, während ich zwischen ihre Beine griff und dabei überlegte ob dieses Kind sich vielleicht irgendwie äh verhakt hatte und nun feststeckte (verhakt, genau…). In die korrekte Richtung, wie das im Buch beschrieben war, schaute es auch nicht. Naja. „Äh können sie vielleicht nochmal etwas pressen?“

Die Frau, die schon mehr Kinder als dieses eine geboren hatte, tat wie geheißen und ein weiteres Stück des Kindes flutschte mir entgegen. Ha. Noch halb in der Mutter steckend begann dieses nun sofort ungeduldig zu schreien und mit einem Arm zu wedeln. Dies erschien mir als supergutes Zeichen und ich gab dem Kind volle Punktzahl für Schreien und Wedeln auf dem initialen APGAR Score dessen weitere Punkte ich leider vergessen hatte da Internisten NIE einen APGAR Score in ihrem Alltag auch nur antreffen.
Nun denn wir gebärten das restliche Kind ohne Probleme aus der Mutter.

Das übrige kaltschweißige Rettungspersonal wartete schon mit zittrigen Händen und einer scharfen Schere auf meine Anweisungen wo um Himmels willen sie jetzt diese Nabelschnur durchtrennen sollten. Ich wies und wir wickelten das Kind in eine Rettungsdecke und ungefähr alle Handtücher des Haushaltes, die Sanitäter 2 inzwischen eingesammelt hatte.
Dann packten wir alle inklusive den Handtuchvorrat der Familie sofort ins Auto. Ich erklärte Sanitäter 2 beruhigend, dass es normal wäre, wenn nach der Geburt aus der Vagina der Frau noch Blut käme, aber weil ich keine Ahnung hatte WIEVIEL die normale Postgeburtsmenge so ungefähr wäre, legten wir ganz schnell noch eine Kanüle und fuhren zackzack zurück in unsere heimelige Klinik.

Die Hebamme fragte mich dort sofort nach dem APGAR Score und ich zog einen Punkt vom initialen Score ab, weil es echt blau gewesen war das Kind. Aber nur kurz. Den restlichen Score bekam ich nicht zusammen und die geduldige Hebamme schätze mit mir die restlichen Punkte. 

Mama und Kind waren dann wohlauf. Ha. Die Mutter hatte wie es aussah den korrekten Betrag an Blut verloren. Also nicht zu viel und die Plazenta verlor sie dann in der Klinik, was wohl gut für die Abrechnung ist.

Dann gab ich dem Kollegen den Piepser wieder zurück.





Sonntag, 16. September 2018

Herr Grazizoff


Nachts so gegen 23.20 Uhr war Highlife in der Notaufnahme. Ein Magendarminfekt ging herum und vielen Leuten kam die glorreiche Idee das sofort in so einem professionellen Klinikum abchecken zu lassen. 

„Ich habe Durchfall seit 2 Stunden.“ – „Hmhm.“

Während ich nun Infusionen und freundliche Zusprache verteilte, ging das gute Desinfektionsmittel aus, dann rief plötzlich Station 109 an. 

„Öh hallo? Der einzige internistische Dienstarzt vor Ort spricht, sie wünschen?“

„GAAAAAHHH!“ sagt Head-Schwester Benuta, „du musst mal kommen. Unser Patient, der Herr Grazizoff, der läuft überall rum.“

„…?“

„Also auch in die Zimmer der anderen Patienten!!! Du musst kommen!!!“

Ja, nun denn kam ich halt, denn Schwester Benuta hörte sich sehr unglücklich an. Ich dachte daran Herrn Grazizoff irgendein Gespräch oder ein Schlafmittel angedeihen zu lassen. Oder auch beides. 

Dieser Plan war toll, hatte aber nichts mit der Realität zu tun.

Auf Station 109 herrschte Prä-Armageddon. Ein Patient stand beunruhigt vor dem Stationszimmer: ein großer Mann mit blondem Vollbart und entblößtem Oberkörper wäre gerade in sein Zimmer gelaufen.
 Eine weitere Patientin mit kurzen, grauen Locken wanderte zudem in geblümtem Morgenmantel durch den Flur und stürzte sich auf mich. Genannter Mann sei auch in ihrem Zimmer aufgetaucht. Sie habe Angst.

Schwester Benuta knallte mir eine Akte vor die Nase: Herr Grazizoff, stationär mit neu diagnostiziertem, tachykardem Vorhofflimmern. Außerdem trinke er wohl regelmäßig eine unklare Menge an Alkohol. Möglicherweise das Problem jetzt ohne Alkohol. Und übrigens: Herr Grazizoff spräche nur kasachisch. Kasachisch? Also aktuell zumindest. Vielleicht auch etwas Russisch.

Ich ließ mir eine doppelte Standarddosis unseres beliebten Anti-Alkoholentzugsdelir-Benzodiazepins aushändigen und machte mich frohgemut auf den Weg. Die Flurpatientin verfolgte mich, während sie ununterbrochen flüsterte: „Ich habe Angst, ich habe Angst, ich habe Angst…“

Die Zimmertür des Herrn Grazizoffs stand offen und Herr Grazizoff 2 Meter groß, 1 Meter breit, o.g. Vollbart, weiterhin ohne Oberbekleidung lag tugendhaft im Bett. Ich begann nun ein Gespräch, auf dessen Fragen und Sätze Herr Grazizoff mir ausschließlich auf Kasachisch antwortete. Manchmal wiederholte er auch Wörter, die ich sagte und lachte laut. Dann wollte ich die Pupillenreflexe des Patienten prüfen, aber Herr Grazizoff sah hierin einen Versuch meinerseits seine Augen auszustechen. Nach einer längeren pantomimischen Darstellung meiner wahren Intentionen durfte ich mich der regelhaften Funktion seiner Pupillenreflexe überzeugen, was nicht wirklich weiterhalf und weiterhin die Frage aufwarf wie klug es jetzt war sich mit diesem Patienten im gleichen Zimmer aufzuhalten oder überhaupt in seine Pupillen zu leuchten. Mein tolles Beruhigungs- und Schlafmittel verweigerte er energisch. 

Ich rief nun die Psychiater, denn das alles kam mir komisch vor und dann telefonierten wir eine Viertelstunde die Klinik ab, bis wir jemand fanden, der verstand was Herr Grazizoff eigentlich sagte und erklärte, der Patient halluziniere. Eine Menschenmenge würde draußen Autos auf der Straße anhalten und im Anschluss mit Benzin anzünden. Dies sagte Herr Grazizoff während er seinen Aufenthaltsort auf’s Fensterbrett verlegte.
Auf dem Flur tigerte derweil meine geblümter-Mantel-Patientin hin und her und fing mich ab sobald ich auch nur den Kopf auf dem Zimmer steckte: „Machen sie doch was! Ich habe Angst, ich habe Angst!“ Das beschleunigte meine Arbeit ganz ungemein. Nicht. Ich erklärte grumpelig, wir würden uns um alles kümmern!! Wir hätten das voll im Griff. 

Herr Grazizoff machte derweil Anstalten aus dem Fenster zu gehen, was blöd war, da wir uns im 3. Stock befanden. Nachdem das Grazizoff’sche Eigen- und Fremdgefährdungspotential immer weiter eskalierte, „kümmerten“ wir Herrn Grazizoff in ein Fixierbett und banden ihn dort fest. Herr Grazizoff schrie nun unerfreut kasachische Dinge. Manchmal hörte er auch damit auf und grinste maliziös in unsere Richtung. Wer auf der 20 Betten Station jetzt noch geschlafen hatte, der war jetzt endgültig wach. Auf den Flur traute sich auf jeden Fall keiner mehr. Auch nicht mehr die geblümter-Mantel-Dame.
Die Psychiaterin telefonierte derweil weiter verzweifelt mit ihrer Oberärztin und Herr Grazizoff spuckte erfreut unsere Anti-Delir-Medikation durch den Gang.
Dann stressten wir eine Psychiatrieschwester sie solle uns bei der Medikamentenapplikatin helfen und suchten schon mal die intravenösen/intramuskulären Medikamente zusammen. Hier entschloss Herr Grazizoff vor so einer Psychiatrieschwester Respekt zu haben, lächelte und nahm freundlich die dargebotenen Tropfen ein. Hmhm.
Es ward denn Ruhe für einige Stunden. 

 


Samstag, 1. September 2018

„Halt 1x vernünftig“



Frau Gramzo hatte Herzrhythmusstörungen. Man verabreichte der Patientin daraufhin ein beliebtes Standartpräparat, den Betablocker. Dann nahm Frau Gramzo an Gewicht zu und vermutete, dass diese neue Tablette Schuld war. Leider waren nun aufgrund diverser Vorerkrankungen und Allergien nicht alle Alternativen möglich, die die fancy Medizin so bot.


Deswegen setzte man das äh alles wieder ab. Daraufhin hatte Frau Gramzo eine Herzfrequenz von 140/min und weil das auf Dauer schlecht war, schickte ihr Hausarzt die Patientin in eine nahegelegene Klinik, die prompt den Betablocker wieder ansetzte.


So befand ich mich nun plötzlich täglich mehrere Male im Zimmer von Frau Gramzo, die regelmäßig Wutanfälle oder anders geartete Verzweiflungsattacke erlitt, denn den Betablocker wollte sie jetzt echt nicht nehmen. Ich erklärte sehr lange und ausführlich warum der Betablocker nötig wäre und warum die anderen Alternativen in ihrem Fall nicht möglich seien. Nach zwei Tagen drohte Frau Gramzo aus dem Fenster zu springen. 


Ich sprach also denn mit meinem Oberarzt ob dieser Problematik und der Oberarzt grumpelte missmutig: „Ha der Frau muss man das halt einmal vernünftig erklären. Dann versteht sie das schon!“  Nachdem ich der Patientin nun schon mehrere Male alles ausführlich und vernünftig erklärt hatte, erklärte ich genanntem Oberarzt, dass er doch bitte selbst so eine vernünftige Erklärung vorführen sollte.


Es folgte der Folgetag und die Oberarztvisite. Mit sonorer Stimme und strenger Miene erzählte mein Oberarzt die Geschichte vom Betablocker. Frau Gramzo fragte misstrauisch nach, brach jedoch zum ersten Mal nicht in Tränen aus und nickte am Ende verständig. Ja, da würde sie das Medikament halt mal einnehmen.


Tja, dachte ich mir, jetzt musst du mal gut überlegen, was du falsch machst. 


Dann ging ich nochmal ins Patientenzimmer, um bei der Nachbarpatientin eine Kanüle zu legen. Frau Gramzo winkte mich sogleich heran: „Also Frau Zorgcooperations: Der Oberarzt gerade eben, der war ja nicht so gut! Zum Glück sind SIE meine Stationsärztin.“ Hmhm.


Am Ende gelang dann aber tatsächlich die Behandlung mit dem Betablocker und dem Versprechen, dass sich Frau Gramzo bei Problemen jederzeit in unserer ambulanten und kardiologischen Sprechstunde melden durfte.