Sonntag, 30. April 2017

Definiertes Kanülenanlagegebiet



Schon lange keine Kanülengeschichte mehr:
Nun denn: Im hintersten Winkel des Klinikums Beteigeuze wohnte Frau Mipfzel. Frau Mipfzel hatte ein hässliches Erysipel am linken Bein und benötigte deswegen dringend eine intravenöse Antibiose. Für so eine Antibiose braucht man eine Kanüle und just diese versagte am Samstagmittag ihren Dienst. Eine neue Kanüle musste her, die Krankenschwester vom Dienst machte dem Dienstarzt Stress und etwas verspätet (Samstagmittag ist jetzt nicht der ultimative Ort der Ruhe in so einer Klinik) eilte ich in Frau Mipfzels Zimmer.
Frau Mipfzel begrüßte mich mit einem tiefen Seufzer und schob gleich hinterher, dass ihr Hausarzt beim Blutabnehmen jedes Mal treffen würde.
Nach dieser ominösen Aussage deutete sie auf die glorreiche Hausarztvene und bestand darauf, dass HIER die neue Kanüle hinkam. Die glorreiche Hausarztvene war leider im Laufe des Klinikaufenthaltes ziemlich verstochen worden und ich deutete an, dass man an einer anderen Stelle vermutlich eher Erfolg haben würde.
Egal. Hier müsse die Kanüle hin. Nicht sonderlich überzeugt ließ ich mich zu einem Kanülenanlageversuch in die malträtierte Vene überreden, welcher prompt schiefging. Frau Mipfzel seufzte erneut sehr tief und genehmigte das potentielle Kanülenanlagegebiet auszuweiten nur um zwischendurch laut zu rufen: „Nein, nein, da nicht! Da auch nicht. Warum legen sie die Kanüle nicht hier an?!!“
„Öh weil sie an dieser Stelle keine Vene haben?“
„Dann müssen sie halt suchen!“
Frau Mipfzel schimpfte weiter, dass sie jetzt schon so lange auf die Kanüle warte und auch die Schwester hätte den versprochenen Tee immer noch nicht gebracht.
Ich erklärte, dass am Wochenende einfach nicht so viel Personal da wäre. Da daure vieles etwas länger. Dann wollte ich eine Vene anstechen, die am Rande des von Frau Mipfzels definierten Kanülenanlagegebietes lag.
Nein, nein da könne keine Kanüle hin, erklärte meine Patientin sofort empört, ich solle gefälligst weitersuchen. Im Anschluss stieß sie noch einen weiteren, abgrundtiefen Seufzer aus.
Ich überlegte einfach das Zimmer zu verlassen und nur der Gedanke daran, dass Frau Mipfzel die Antibiose wirklich brauchte, hielt mich davon ab.
Frau Mipfzel erzählte mir derweil, dass sie schon viel mehr Erfahrung als ich mit Krankenhäusern hätte und mir sagen könne, dass in so einem Krankenhaus unglaublich viel Leerlauf herrsche. Es sei daher gar nicht nachzuvollziehen, warum der Tee noch nicht gekommen wäre oder warum das mit der Kanüle so lange daure.
Zum Glück fand ich dann noch eine kleine, wenig vertrauenswürdige Vene, an die Patientin Gefallen hatte und welche zum Glück mit einer winzige Kanüle bestückt werden könne.
Frau Mipfzel seufzte dann nochmals missmutig und ich sagte das Leben wäre eben hart und ich würde die Schwester mit dem Tee gleich schicken. Dann floh ich aus dem Zimmer. 







Sonntag, 23. April 2017

Extra Zufall



So mittlerer Nachmittag war es. Herr Klauzifs mittlere Herzfrequenz hatte sich zu diesem Anlass auf irgendwas über 150 Schläge pro Minute eingependelt. Wir hüpften abwechselnd im Kreis um Hern Klauzif herum und verabreichten nacheinander, was unser Notfallkabinett so an Herz ausbremsenden Medikamenten gab. Dies half aber nicht. Herr Klauzif begann an unserer Kompetenz zu zweifeln und steigerte seine Herzfrequenz auf 180 pro Minute. Das wiederum war nun keinem der Beteiligten recht und wir entschlossen uns zu einer Kardioversion.
Herr Klauzif sollte in eine Kurznarkose gelegt und sein Herz mithilfe eines Elektroschocks wieder in den richtigen Rhythmus gebracht werden. Ein exzellenter Plan. Herr Klauzif stimmte zu. Wir wechselten unseren Standort von der Notaufnahme zur Überwachungsstation, stellten einen Defibrillator neben das Bett und legten los.
Da Herr Klauzifs Herz sowieso nicht mehr das beste aller Herzen war, spritzte die Schwester das Narkosemedikament besonders langsam, auf dass er besonders schonend in den beabsichtigten Schlaf gleiten sollte.
Herr Klauzifs Augen schlossen sich, nur die Lider zuckten noch ein bisschen. Gleich waren wir soweit. Ich ergriff schon mal die Defibrillator-paddels.
Nun begab es sich aber, dass ich der designierte Dienstarzt für Extra-Notfälle war. Und da war ich ja auch. Bei Herrn Klauzifs rasendem-Herz-Notfall. In diesem Augenblick wurde jedoch Frau Glumzahf in der Eingangslobby schlecht und sie fiel um. Die Pfortendame sah dies und drückte entsetzt auf den Super-Notfall-Knopf in ihrem Pfortenhäuschen. Der Reanimationsalarm piepste durch’s Klinikum.
„PIEP PIEP PIEP“, sagte nun denn mein Notfallpiepser, „PIEP. Bitte sofort zum Reanimationsalarm in die Eingangslobby. Ich wiederhole zum Reanimationsalarm in die Eingangslobby.“
Blöd. Herrn Klauzif, der gerade mit einer Herzfrequenz von 180/min in die Kurznarkose glitt, konnte man jetzt schlecht alleine lassen.
Der Nachmittags-Arzt in der Notaufnahme war nun dran. Schwester Margarita rief auf meinen entgeisterten Ausruf hin auch sofort an und wurde nun zu meinem Ärger in eine längere Diskussion verwickelt.
„Er muss sofort hingehen!“ rief ich verzweifelt, was es dann da zu diskutieren gäbe. Dann führte ich die Kardioversion durch, während der ich die meiste Zeit Dinge rief wie: „ER MUSS JETZT HINGEHEN!“ oder auch „Alles weg vom Patienten! Achtung Schock!“ und „ER MUSS SOFORT HINGEHEN!!!“ „JETZT GLEICH!“ „HINGEHEN!“
Schwester Margarita sagte dann, der neue Nachmittags-Notaufnahme-Arzt hätte nicht so den Plan gehabt was er tun solle und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Jemand wäre aber zum Notfall hin. Ich verließ Herrn Klauzif, der nun mit normalem Herzrhythmus in einer annehmbaren Frequenz schon wieder zügig am Aufwachen war in der Obhut der erfahrenen Anästhesiepflege und eilte in die Eingangslobby.
Dort saß Frau Glumzahf entspannt in einem Klinikrollstuhl. Ein kardiologischer Oberarzt dreht sich gerade gelangweilt zum Weggehen und informierte mich mit desinteressierter Stimme, dass die Dame heute zu wenige getrunken habe und deswegen kollabiert sei. Er würde nun wieder in den Herzkatheter gehen um dort lebensrettende, kardiologische Maßnahmen durchführen. Der Nachmittags-Arzt? Ach ja, der habe ihn geschickt. Da müsse man wohl nochmal die Notfallleitlinien mit dem durchsprechen.
Das Beste an dieser Geschichte? Der blöde Notfallpiepser hatte die ganze vorherige Woche keinen Alarm gegeben. 


Samstag, 15. April 2017

Ein Hoch auf die internistische Standarduntersuchung.



 „Also“ sagte Frau Hutvernichts Hausärztin, „sie bekommen ja kaum noch Luft!“ Die Hausärztin stopfte gewissenhaft alle Unterlagen in einen großen braunen Umschlag und bestand darauf, dass der Rettungsdienst inklusive eines Notarztes Frau Hutvernicht persönlich in ein bewährtes Klinikum in der Umgebung transportierte.
Auf ihrer Einweisung notierte sie, sie verdächtige eine Verschlechterung der schweren chronischen Bronchitis auch COPD genannt, die Frau Hutvernicht durch ihre langjährige Arbeit in einer Raucherkneipe erworben hatte. Krankheiten die man nicht haben möchte.
Der Notarzt setzte auf der Fahrt sein ganzes Arsenal an Anti-COPD-Medikation ein. Cortison. Inhalationen. Morphin. Zack, war er auch schon im Krankenhaus und händigte die Patientin schnell dem Dienstarzt aus. Denn so richtig toll hatte diese Notarzttherapie nun auch nicht geholfen.
„Hallo Frau Hutvernicht“, sagte ich zu meiner neuen Patientin und fragte sie gleich mal unsere Standardatemnotfragen. Links von mir nahm Schwester Margit solange Blut ab. Frau Hutuvernicht war aktuell irgendwie leicht grau im Gesicht, sonst aber stabil. Fragte man sich nur, wie lange noch.
Ich beschloss Frau Hutvernicht noch schnell zu untersuchen, so wie man das als Arzt halt tut. Über Lunge war auch gleich das typische Pfeifen zu hören, dass die meisten COPD Patienten aufweisen. Allerdings nicht sehr ausgeprägt. Vermutlich wirkten die Notarzt-Medikamenten nun doch, dachte ich erfreut. Einziges Problem: Viel besser sah die Patientin jetzt nicht aus. Schnell noch das Herz abhört und zur Komplettierung der ordentlichen internistischen Untersuchung betrachtete ich noch Frau Hutverneints Beine, ob denn Wasser eingelagert wäre.
Hier triggerte mein Internistenalarmknopf: „Das rechte Bein ist ja ganz dick, ist das normal bei ihnen oder neu?“
„Ja“, erklärt Frau Hutvernicht, „vor ein paar Wochen waren beide Beine dick, wegen Wassereinlagerungen und meine Hausärztin hat mir Wassertabletten verschrieben. Da ist das eine Bein wieder dünner geworden, das andere aber nicht.“
„Oh hm“, sagte ich und zerrte ein Ultraschallgerät in Frau Hutvernichts Kabine. Auf dem Bildschirm lachte uns sofort eine große Thrombose in der Oberschenkelvene rechts entgegen.  Von solchen Gerinnseln bricht gerne mal ein Gerinnselteil ab, wird in die Lunge geschwemmt und bleibt dort stecken. Zum Ärger aller. Ich setzte den Schallkopf über’s Herz. Dessen rechte Kammer war riesengroß. Ein Hinweis darauf, dass hier tatsächlich etwas prominent wichtige Lungengefäße verstopfte und Blut ins Herz zurückstaute.
Deswegen und nicht wegen der COPD bekam Frau Hutvernicht auch nicht genug Luft. Und deswegen hatte auch die vorherig ausgeklügelte Therapie nicht funktioniert.
Frau Hutvernicht bekam dann aufgrund der schweren Lungenembolie eine Lysetherapie und tatsächlich ging es ihr auch zügig wieder besser.
Ein Hoch auf die internistische Standarduntersuchung, inklusive Beinbetrachtung.