Montag, 30. Mai 2016

Gnosu



Gnosu war so ungefähr 2 Jahre alt. Vor dem zu Bett gehen, hatte sie ein großes Stück aus ihrem Trinkglas herausgebissen und wo sie schon dabei war, Teile davon gleich aufgegessen. Oder so ähnlich.
Gnosus Eltern waren hierüber doch irgendwie alarmiert und brachten die Tochter vorsichtshalber in die Notaufnahme eines nahegelegenen Krankenhaus.

„Hallo Gnosu“, sagte ich, „ich bin der Dienstarzt heute Nacht.“
Hier hechtete Gnosu von der Untersuchungsliege herunter, auf der sie gerade eben noch friedlich neben ihrem Vater gesessen hatte, und versuchte der Notaufnahme und dem überraschend aufgetauchten Dienstarzt zu entfliehen.
Die Dienstschwester versperrte aber die Tür und wir versuchten die Untersuchung fortzusetzen. Oder überhaupt zu beginnen
„Ich bin völlig harmlos!“ behauptete ich nun und fuchtelte unbedrohlich mit meiner Pupillenlampe herum, während ich Gnosu den Plan erklärte der da war: Mit der professionellen Pupillenleuchte festzustellen ob es durch den Glasverzehr zu Verletzungen im Mundraum gekommen war.
Gnosu hatte aber keine Lust den Mund jetzt aufzumachen und ich hoffte das die Batterie der Lampe nicht vor der geplanten Ausleuchtung zugrunde ging.
Mithilfe pantomimischer Vorführungen und der geduldigen Mutter war Gnosu dann zu überzeugen doch den Mund aufzumachen, wobei sie aber zur Vorsicht den Kopf weit weg von mir drehte. Ich wickelte mich also irgendwie um die Mutter, die Gnosu festhielt um weitere Fluchtversuche zu verhindern und kurz bevor ich den Winkel erreicht hatte, über welchen ich Gnosus Mundinnenraum hätte betrachten können, machte diese lieber dem Mund schnell zu.
Wir wiederholten das Ganze noch zwei Mal und wurden schließlich doch noch mit einem Blick kurz auf unbeschädigte Mundschleimhaut belohnt. Yay.

Daraufhin erklärte ich der Familie, dass die sehr bewegliche Schleimhaut des menschlichen Verdauungstraktes in der Regel auch spitzige Glasscherben ohne Probleme durch die Gegend transportieren könne und solange das Kind keine Beschwerden habe alles im öh grünen Bereich wäre. Dann schicke ich alle wieder heim. Sehr zur Freude von Gnosu.



Samstag, 21. Mai 2016

Ein Piepsakt



Da war ich also wieder mal so ein Dienstarzt und in meiner Tasche steckt glorreich ein Notfallpiepser. Der Notfallpiepser bricht in ohrenbetäubendes Piepsen aus, sobald irgendwo in der Klinik ein lebensbedrohlicher Notfall vorfällt und einer der Involvierten gleich einer Reanimation bedarf. Vermutlich. Manchmal ist es nämlich nur ein Kommunikationszentralen-herr, der die korrekte Funktion des Piepsakts überprüft.
Alle Piepserbesitzer begeben sich im Rahmen des Piepsgeschehens dann sofort zum Notfallgeschehen und führen wichtige Notfallhandlungen aus.
Egal, ich trug also diesen Piepser und weil in so einem Krankenhaus jetzt nicht dauernd jemand stirbt, piepst dieser auch fast nie.

Dann ging ich irgendwann mal auf’s Klo, weil ich da schon länger nicht mehr war. Während meines Kloaufenthaltes klingelte dann auch gleich das Telefon. Nun erwartete ich auch tatsächlich einen sehr wichtigen Anruf vom Labor. Deswegen drückte ich „Anruf annehmen“ und es überfiel mich statt des Labors Frau Miederfanns Sohn, der mehr Details zu seine Mutter wissen wollte und leider ein unverbesserlicher öh, hm: also wenn andere Leute sagen:
„Hallo“
dann sagte Herr Miederfann mindestens:
„Und einen schönen guten Tag wünsche ich ihnen hiermit an diesem Tag heute und hier, der wirklich gut ist dieser Tag, finden sie nicht auch? Auf jeden Fall begrüße ich sie hiermit und nun …“
Ich versuchte Herrn Miederfann klarzumachen, dass es jetzt echt ungeschickt wäre und ich später zurückrufen würde, was in einer Unterhaltung ähnlich dieser resultierte:
„Das ist jetzt sehr ein schlechter Zeitpunkt. Ich…“
„Ah jaja verstehe Frau Zorgcooperations. Da haben sie sicher sehr viel zu tun. Heute ist es ja auch so heiss draußen. Da gibt es sicher viele Kranke. Ja da müssen sie sicher viel tun und ich will sie dabei gar nicht behindern. Nein ich bewundere was die Ärzte heutzutage so leisten!“
„Vielen Dank Herr Miederfann. Da würde ich sie später zurückrufe…“
„Das ist aber nett von ihnen Frau Zorgcooperations. Ich muss wirklich wissen wie es meiner Mutter geht. Sie hat diese Arthrose schon so lange. Wir wissen gar nicht was wir machen sollen. Früher hat sie ja noch Sport gemacht und ist immer zur Frauengymnastik gegangen. Aber jetzt wo auch noch ihre Katze Fifi gestorben ist..“
Ich überlegte ob es sehr unhöflich wäre nun einfach aufzulegen und versuchte gleichzeitig meine Hose anzuziehen ohne das Telefon ins Klo zu werfen, welches wackelig zwischen meinem Ohr und der Schulter klemmte.
PIEP PIEP PIEP erklang da mein Notfallpiepser.
„Oh ein Notfall. Jetzt muss ich wirklich aufhören.“
„Ahhh ein Notfall. Da möchte ich sie natürlich nicht aufhalten. Das ist sicher sehr wichtig. Meine Mutter…“
Hier sagte ich verzweifelt ganz schnell: „Tschüss Herr Miederfann“, legte auf, warf Desinfektionsmittel über meine Hände und das Telefon und begab mich unauffällig zum Notfallort.





Sonntag, 15. Mai 2016

Graben-Meteorit



Es war ein schöner Abend, die Sonne versank mittelrot hinter der Klinik und die Pforte stellte mir einen mysteriösen Anruf durch.
Es stellte sich Herr Gäb-Bodele vor, seit längerem habe er immer so einen Druck auf der Brust und man habe ja schon alles untersucht, aber nie etwas gefunden, jetzt habe er mit einem Arzt aus Polarstern telefoniert und der habe vorgeschlagen, man solle doch ein PET CT machen.
Hier machte Herr Gäb-Bodele eine bedeutungsschwere Pause und ich war verwirrt, was man nun von mir erwartete:
Wollte Herr Gäb-Bodele eine Zweitmeinung bezüglich des PET-CTs?
Hoffte er auf eine baldige Durchführung dessen?
Oder aber und hier stellte ich erst mal die naheliegende Frage: „Haben sie denn aktuell die Beschwerden?“
„Ja, nein. Gerade nicht.“
„Hmhm. Und was ist denn nun der Anlass für sie, heute Abend um 21 Uhr bei uns anzurufen?“
„ICH HABE SCHON SEIT EINEM JAHR IMMER WIEDER DEN DRUCK AUF DER BRUST!“
„Ah. Hm. Und sie sagen, man hätte das schon genauer untersucht?“
„Jaja, Röntgen, normales CT, Ultraschall, Blutuntersuchungen, Belastungs-EKGs! Nie ist was rausgekommen. Das kann doch gar nicht sein. Und Herr Dr. renommierter Oberarzt aus Polarstern sagte mir nun, da könne man ein PET-CT machen!!“
„Hm. Wir können jetzt nicht sofort ein PET-CT machen. Das ist keine Notfalluntersuchung. Ganz davon abgesehen, dass wir hier kein solches Gerät haben. Das machen hochspezialisierte Zentren, die eine stabile Bauweise und robuste Statik aufweisen.“
„Aber ich habe den Druck immer wieder!“
„Sie dürfen gerne vorbeikommen und wir schauen uns alles nochmal an. Nur wenn sie aktuell gar keine Beschwerden haben, bin ich mir nicht sicher ob das so sinnvoll ist, nachts in die Notaufnahme zu gehen.“
„So?! Und sie können mir garantieren, dass mir heute Nacht nichts passiert?!!“
„Nein, genauso wenig wie ich ihnen garantieren kann, dass heute Nacht kein Meteorit in ihr Haus einschlägt und in einem riesigen Krater das nächste PET-CT versenkt.“
Herr Gäb-Bodele war nicht zufrieden und beschloss zur Sicherheit doch vorbeizukommen.
Als ihm die Aufnahmeschwester jedoch erzählte, er müsse leider zwei Stunden warten, ging er wieder heim.