Samstag, 26. Dezember 2015

Eine Verlegung. Eine WICHTIGE Verlegung.



Einmal da war ich der Wochenenddienst und musste auf Intensivstation mithelfen.
„Und dann veranlassen sie noch Frau Ampzell’s Verlegung in die Uniklinik rechts von Beteigeuze“ sagte mein Oberarzt mit sonorer Stimme, „Frau Ampzell ist da schon angemeldet. Station DoppelZ, Gebäude 4. Ergänzen sie den Verlegungsbrief ihrer Kollegin und organisieren sie die Fahrt!“ Zack, ließ er mich alleine der Oberarzt.
Als Anfängerarzt hängt man nun nicht so oft auf der Intensivstation ab und ist da auch nur so mittelprofessionell, aber die Verlegung würde ich schon hinkriegen. Ich kritzelte noch etwas im Verlegungsbrief herum und rief dann motiviert die Leitstelle an: ich wolle heute eine Patientin mit Intensivtransport und Notarzt in die Uniklinik rechts von Beteigeuze verlegen lassen, Station DoppelZ, Gebäude 4.
„Hmhm“, sagte die Leitstelle, „mit Notarzt?!“
„Jop!“
„Also sie wissen ja es ist Wochenende…“
„ Jaaaa?“
„ Es gibt gerade nur einen Notarzt in der Gegend. Wenn wir den nun mitschicken, dann gibt es hier keinen Notarzt mehr.“
 „Ernsthaft?!“
 „Aber“; sagte der Leitstellenmensch nun erfreut, „warum verlegen sie ihre Patientin nicht einfach mit dem Hubschrauber?!“
 „Ja neee, das ist zwar eine Notfallverlegung, aber keine Notfall-Notfall-Verlegung.“
 „Aber der einzige Notarzt hier ist beschäftigt!“
Unsicher ob ich jetzt tatsächlich einen Hubschrauber herbeiordern oder doch lieber die Notfallversorgung der Region für einige Stunden lahmlegen sollte, fragte ich bei meinem Oberarzt nach. „NEIN! DAS IST VIEL ZU TEUER!“ rief der Oberarzt in sein Telefon.
„Gar nicht wahr“, sagte die Leitstelle, „nur ein bisschen teurer. Und denken sie an den einzigen Notarzt!“
„Jaaaa, ok“, sagte mein Oberarzt.


„Juhu!“; erklärte die Leitstelle, „also wie heißt die Patientin? Wo soll sie hin? Wie schwer ist sie?“
„Keine Ahnung wie schwer sie ist“, sagte ich und blätterte mich durch alle Akten. Dort wurde das Gewicht der Patientin konsequent verschwiegen. Dann ging ich nochmal rein zur Patientin und schaute ungutes ahnend auf deren Körper, der sich berggleich unter der Decke wölbte.
Dann fragte ich die Schwester ob wir die Patientin wiegen könnten. „Spinnst du?!“ sagte die Schwester. Ich stimmte ihr zu. Die Patientin befand sich aktuell in einem kartoffelsackähnlichen, bewusstlosen Zustand.
Wir beschlossen zu schätzen: "Hm was meinst du Schwester, eher so mehr oder weniger als 120 kg?“
 „Mehr, definitiv mehr.“
„Naja“, sagte da die Leitstelle enttäuscht. Das wäre dann definitiv zu schwer für den Hubschrauber. Dann besorgte sie mir resigniert einen weiteren Notarzt, so dass meine Patientin verlegt werden konnte, sogar ohne die restliche Notfallversorgung in Beteigeuze lahmzulegen.

Samstag, 19. Dezember 2015

Die Analgesie großer Pferde



Frau Gundelfindes Hausarzt hatte beschlossen, dass das unspezifische Fieber seiner Patientin unbedingt krankenhäuslich behandelt werden sollte. Zack landete Frau Gundelfinde in unserer Aufnahme. Frau Gundelfinde, im höheren Stadium der Demenz, hatte keinen Bock auf irgendetwas und rief meistens einfach laut: „AHHHHAaaahhhaaa“ Mein Stethoskop fand sie besonders dumm, was dann ein etwas lauteres „AAAAHAHHAA!“ produzierte und sämtlich Herztöne überlagerte. Immerhin musste sie zwischendurch tief Luft holen. Hmhm, Lunge: gut belüftet.
Frau Gundelfinde pendelte sich dann wieder auf ein mittellautes „aahAAhhaaaaa“ ein und ich beschloss einen Aufnahmebogen auszufüllen, auf dass Frau Gundelfinde bald auf Station und dort ihre neuen Bettnachbarn in den Wahnsinn treiben könnte.
„Ja und jetzt?“ rief da die neue Praktikantin der Notaufnahme, „kriegt sie jetzt Schmerzmittel, das man auch problemlos zur Analgesie eines großen Pferdes verwenden könnte?“
„Hä, warum das denn?“ fragte ich. „Erhoffen wir uns dadurch, dass sie aufhört zu atmen und in einen ähm tiefen Schlaf fällt?“ (Bo, ich war in echt viel netter. Und verwirrter.)  
„Na sie hat doch Schmerzen!“ rief die Praktikantin.
Ich schaute prüfend auf Frau Gundelfinde, die entspannt unter ihrer Decke lag und nun leise „AAaahhaaaHHHaaa“ murmelte.
„Nein!“ sagte ich dann, „nein. Keine Schmerzen. Das ist ein typisches Protest-Demenz-AAAAhhAA. Nein, kein Schmerzmittel… Und schon gar nicht dieses.“



Samstag, 12. Dezember 2015

Mister Zuhäggi



Es war mal wieder mitten in der Nacht zu einer Uhrzeit, bei der es immer stockdunkel ist. Die Nachtschwester rief an: „Sorry, mein Patient der will unbedingt einen Arzt sprechen. Gerade hat er sich auf den Boden geworfen und will da rumliegen bis einer kommt.“
Wie so oft in der Nacht fühlte ich mich jetzt nicht so superfit und wandelte mit einem Schlafdefizit äquivalent zu 1 Promille Alkohol zur Station.
Den Patient sah ich schon von weitem im Flur liegen. Ich griff nach der von der Schwester dargereichten Akte. Herr Zhuieiggi. Aktuell eingewandert aus einem Land, dessen Sprache ich nicht mächtig war. Niemand im ganzen Krankenhaus würde diese Sprache sprechen. Herr Zhuieiggi hatte günstigerweise seinen Einwanderungszettel mitgebracht, der angab er würde außer abgefahrener-Sprache-von-deren-Existenz-ich-zuvor-nicht-geahnt-hatte, russisch und portugiesisch sowie Englisch sprechen. Meiner bisherigen Erfahrung nach waren diese Aussagen jedoch eher großzügig ausgelegt. Wenn da stand „Sprachkenntnisse: Englisch“, dann hieß das, der Patient kann „Hello“ und „I’don’t understand“ sagen.
Ich trat also neben Herrn Zhuieiggi, der zu viel Alkohol konsumiert hatte und weiter auf dem Boden lag.



„Hi. I’m the doctor. Ähm.”
Herr Zhuieiggi stöhnte missmutig.
“Mister Zuhäggi (hier versuchte ich verzweifelt den Patienten beim Namen zu nennen, für eine bessere Arzt-Patientenbeziehung, inständig hoffend, den ungefähren Klang des Namens zu treffen.) Mister Zuhäggi, WARUM … WHY are you lying on the floor?”
Herr Zhuieiggi deutete nun an, dass es ihm schlecht war und er daran gedachte sich bald zu erbrechen. Die Schwester brachte eine Schüssel. Herr Zhuieiggi erbrach sich.
Ich versprach eine Infusion gegen Übelkeit. Dann gestikulierte ich wild in Richtung Patientenbett: „Maybe you go back to bed now?“
Herr Zhuieiggi stöhnt nochmal und stieg schließlich, meiner Arztautorität folgend, zurück ins Bett.
Ich ging dann auch ein Bett für mich suchen.

Samstag, 5. Dezember 2015

Die Lunge der Frau Rozohdon



Frau Rozohdon rauchte seit ihrem 7.Lebensjahr. (Na gut eigentlich hatte sie erst 10 Jahre später damit angefangen, dies aber durch die Menge an Zigaretten wettgemacht). Ab einem gewissen Punkt hatte das Frau Rozohdons Lunge nicht mehr mitgemacht und eine sogenannte COPD produziert, eine Krankheit an der man ganz bestimmt nicht sterben möchte und die dazu führte, dass Frau Rozohdon konstant an Atemnot litt. Manchmal auch besonders viel Atemnot und deswegen lag Frau Rozohdon nun auf meiner Station.
Wir begannen eine großartige Kombination an Sprays voller Kortison und Infusionen voller Kortison, sowie Medikamenten, die die Bronchien weiten sollten und als Nebenwirkung den Pulsschlag in interessante Höhen beschleunigen können.
Frau Rozohdon fühlte sich dann etwas besser und fragte ob wir ihr für zuhause ein mobiles Sauerstoffgerät besorgen könnten. Sie hätte da schon so einen Sauerstoffkonzentrator, aber der wäre zu groß um nach draußen zugehen.
Da die Blutgasanalyse trotz Kortison in Dosen, bei denen Frau Rozohdon vermutlich Nachts gar nicht mehr schlief und auch gleich Amphetamine hätte nehmen können, das hat auch einen weitenden Effekt auf die Bronchien, ähm, also unsere Blutgasanalyse zeigte viel zu wenig Sauerstoff und zu viel Kohlenstoffdioxid in unserer Patientin Blut und so beschlossen wir ein transportables Flüssigsauerstoffgerät zu beantragen. Ich füllte ein Formular aus.
„WAAAS?!“ rief die freundliche Dame vom Sozialdienst und wedelte mit dem Antrag herum, „bist du noch ganz bei Trost?“
„Warum?“
„Die Frau Rozohdon treffe ich immer draußen beim Rauchen!“
„Oh“.



Ich ging also hin zu Frau Rozohdon und erklärte, dass das so nicht ginge. Flüssigsauerstoff ist brennbar. Gut brennbar. Vermutlich auch gut explodierbar. Gleichzeitig Rauchen und ein Flüssigsauerstoffgerät zu benutzen ist prinzipiell nicht empfehlenswert. Ganz davon abgesehen, dass es paradox wäre, ihr nun so ein mobiles Flüssigkeitssauerstoffgerät zu besorgen nur damit sie weiterhin regelmäßig zum Rauchen könne.
Frau Rozohdon sagte, das sei gemein und ignorierte meine überzeugenden Argumente wie: „Sie könnten schwer verletzt werden!“ „Sie brennen ihr Haus ab!“ und „Sie werden unauffällige Passanten in der Explosion umbringen!“
Sie entschied sich dann für’s weiterrauchen, ging heim und um unsere ablehnende Entscheidung bezüglich des Flüssigsauerstoffs zu begründen, verwendete ich zum ersten Mal die Wörter „Brand- und Explosionsgefahr“ in einem Arztbrief.