Samstag, 28. November 2015

Ausgelagert



Herr Horgg war ein internistischer Patient mit einer typisch internistischen Erkrankung, die ich vergessen habe. Kardiale Dekompensation oder so.
Nun war Herr Horgg an einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt gekommen, nämlich dem Zeitpunkt, an welchem alle Betten in den internistischen Abteilungen schon von einer Unzahl anderer internistischen Patienten besetzt waren.
Da nun die Unfallchirurgen gerade unter einer Flaute an Schenkelhalsbrüchen litten und somit ein, zwei freie Betten hatten, gaben sie uns freundlicherweise eins ab und wir legten Herrn Horgg in die unfallchirurgische Abteilung. Selbstverständlich würde sich hier kein unfallchirurgischer Arzt um ihn kümmern. Stattdessen wird ein Internist abgestellt, der nun zusätzlich zu seiner normalen Stationsarbeit, zwei Mal am Tag quer durchs Krankenhaus joggt, mehrere Stockwerke durchquerend, ihm unbekannte Stationszimmer nach Akten und Kurven durchsuchend um Herrn Horgg und mögliche weitere so ausgelagerte, internistische Patienten zu betreuen. Dies ist offensichtlich nicht die beste Betreuung, die ein Patient haben kann. Der internistische Arzt schimpft mit den chirurgischen Schwester: „Täglich wiegen habe ich gesagt!“ „Aber wir wiegen unsere Patienten nie!“ „AHHHRGHL WIEGEN!! Wie soll ich denn sonst wissen ob die Wassertabletten anschlagen!“
Und die chirurgischen Schwestern, die sich nicht merken können, welcher der ständig wechselnden Internisten nun zuständig ist, rufen bei Problemen willkürlich irgendwelche sich zumindest internistisch anhörenden Ärzte an, was sie denn nun tun sollen.

Deswegen waren wir froh, als endlich ein Bett auf der kardiologischen Station frei wurde und wir Herrn Horgg auf eine ordentliche internistische Station verlegen konnten.

„GRM!“ schimpfte Herr Horgg, das sei ja ein schreckliches Zimmer, ob er nicht wieder zurück könne?!
„Aber hier sind sie jetzt viel besser betreut!“ rief ich erstaunt.
„Aber das Zimmer! Ganz schrecklich!“
„Hm ich verstehe sie nicht Herr Horgg. Sie haben hier sogar einen Balkon!“
„Grrr“, sagte Herr Horgg und rückte schließlich mit der Wahrheit heraus, „hier habe ich keinen Internet-Empfang für mein Handy!“
„Oh.“



Sonntag, 22. November 2015

Sitzblockade



Herr Koslow hatte keine Lust. Nachdem die Chirurgen erst seine verärgerte Gallenblase herausoperiert hatten, hatte er irgendein internistisches Problem entwickelt und lag nun auf meiner Station herum. Manchmal stöhnte er auch und wenn man sehr laut mit ihm redete dann würde Herr Koslow vielleicht ein, zwei zusammenhangslose Sätze auf Russisch rufen.
Unter meiner Superbetreuung ging es Hernn Koslow jedoch bald besser. Manchmal redete er nun auch Deutsch, aber Lust auf irgendwas, wie z.B. aufzustehen oder überhaupt sich bewegen, hatte er immer noch nicht.
Eines Morgens saß ich nun so im Stationszimmer rum und versuchte den Pathologen anzurufen, ob er „Verdacht auf bösartige Zellen“ irgendwie spezifizieren könne? – „Nein, zu wenig Material…“ (Ich dachte ja immer diese Antwort sie ein unrealistischer Pathologenwitz…)
Da kamen plötzlich die Physiotherapeutin und Herr Koslow vorbei, Herr Koslow käme um mir etwas mitzuteilen. Erstaunt, dass mein Patient plötzlich ganz alleine von seinem Bett bis zu unserem Stationszimmer gelaufen war, lächelte ich freundlich und Herr Koslow rief diverse russische Dinge in meine Richtung, die ich nicht verstand. Die Physiotheraputen, mit der er zuvor wohl noch Deutsch gesprochen hatte, erklärte schließlich, Herr Koslow wolle nun heim und ich sagte, das wäre eine schlechte Idee, da wir das internistische Problem noch nicht zuende behandelt hätten. Hierauf ärgerte sich Herr Koslow unglaublich und setzte sich auf den Boden, von wo aus er nun lautstark mich und die Physiotherapeutin beschimpfte. Zahlreiche (alle) anderen Schwestern der Station eilten herbei und versuchten Herrn Koslow dazu bewegen wieder aufzustehen oder zumindest in einen Transportstuhl zu sitzen. Herr Koslow wog jedoch geschätzte 200 Kilogramm und hatte beschlossen erst mal schimpfend im Flur sitzen zu bleiben.
Derweil begann sich nun auch die Oberärztin der Nachbarstation zu beschweren, was wir hier eigentlich veranstalteten und schickte diverse Untergebenen zur „Streitschlichtung“. Haha.
Im Anschluss zerrten wir zu Zehnt Herrn Koslow in einen Rollstuhl, rollten ihn zurück in sein Zimmer und am liebsten hätte ich ihn ja einfach im Flur sitzen lassen.
 

Samstag, 14. November 2015

Leicht blass und keine Leichenblässe (Teil 2)



Ich zog also Frau Brimmchen, hochdement, 90 Jahre alt und wild schimpfen durchs halbe Krankenhaus um meinen klinischen Verdacht auf einen arteriellen Gefäßverschluss zu bestätigen. Am besten mit einem exklusiven Blutgerinnselbild oder so.
Eine Computertomographie hatte ich gleich verworfen, da Frau Brimmchen höchstens in Vollnarkose oder tot bewegungslos in einer Röntgenröhre verharren würde. Daher landeten wir also gleich vor dem Lieblingsgerät aller Internisten: Dem Ultraschallgerät.

Haha, habe ich schon erwähnt, dass Arme nicht so das Heimgebiet eines aspirierenden Internisten sind? Arme, das ist was für Unfallchirurgen. Oder Neurologen. Aber der hatte sich ja erfolgreich aus dem Staub gemacht.


Naja, irgendwie stellte ich dann auch irgendwelche Blutgefäße des betroffenen Arms dar und auf denen war kein Blutfluss darzustellen. Dies wertete ich als Beweis für meine Theorie des  A R T E R I E L L E R  G E F Ä ß V E R S C H L U S S und rief erst mal nun so gegen nachts um 1 Uhr meinen Oberarzt an um ihm dies mitzuteilen und zu fragen, was ich denn nun um alles in der Welt tun solle.
„Gnaaa“, sagte der Oberarzt, „wahrscheinlich haben sie das Ultraschallgerät falsch eingestellt!“ „Ja aber…“
„Also jetzt stellen sie mal die Sensibilität höher und zwar…“
Kurze Zeit später hing ich nun halb über Frau Brimmchen, das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt, mit einer Hand den Schallkopf haltend, mit der anderen auf Anweisung des Oberarztes Schalter des Ultraschallgerät verstellend, mit Hilfe derer man bei richtiger Bedienung vermutlich einen Wettersatelliten steuern kann.
Das Ultraschallgerät zauberte mir nun die schönsten Farben auf den Schirm, wenn auch an der falschen Stelle, Frau Brimmchen schlug mich grimmig mit der unbeschallten Hand und ich erklärte dem Oberarzt: „Nein, auch so weiterhin keine Durchblutung der großen Armgefäße und das hier sieht aus wie ein riesengroßes Blutgerinnsel. AHHHHH. Hören sie mich auf zu schlagen Frau Brimmchen!!!“
Der Oberarzt glaubte mir nun, gab mehrere kluge Oberarztinstruktionen und ich schaltete das Ultraschallgerät schnell aus um zu verhindern, dass sich eine Verbindung zum russischen Geheimdienst aufbaute und mehrere Wettersatelliten abstürzten.

Sonntag, 8. November 2015

Leicht blass und keine Leichenblässe (Teil 1)



Es war also mal wieder so nachts. Andere Leute schliefen, ich aber nicht, denn die Nachtschwester rief an: „Hallo Dienstarzt. Bei mir liegt die Frau Brimmchen. Kennen sie die?“
„Äh nö?“
„Ah ok. Frau Brimmchen liegt bei uns mit hochgradiger Demenz und einer Lungenentzündung. Im Rahmen dieser Demenz hasst Frau Brimmchen die ganze Welt und lässt keine Gelegenheit aus jeden in Reichweite zu schlagen. Aber jetzt pass‘ auf: Als wir heute Nacht das Mitternachtsantibiotikum geben wollte, da hat sie uns nur mit rechts geschlagen. Nicht mit links. Da stimmt was nicht!“
„Oook ich komme vorbei.“


Kurz nach Mitternacht stand ich in einem kleinen Kreis, bestehend aus Nachtschwester (naja 2) und mir um Frau Brimmchens Bett herum und wir zogen vorsichtig an Frau Brimmchens Arm, welcher bewegungslos und schlaff zurück auf die Matratze fiel.
„Mist, ein Schlaganfall“, dachte ich und rief den Neurologen an.
Frau Brimmchen schimpfte.
Der Neurologe kam.
Zombiegleich erhob Frau Brimmchen den bis dahin bewegungslosen Arm um wenige Zentimeter an.
„Na super“, dachte ich.
„Sag‘ mal. Ist dieser Arm eigentlich immer so kalt“, sagte der überaus kluge Neurologe und wir entschlossen uns nun das große Zimmerlicht anzumachen.
Etwas blass. War er. Der Arm. Nicht der Neurologe.
Eine wilde Leuchtschrift mit den Buchstaben: Achtung: A R T E R I E L L E R  G E F Ä ß V E R S C H L U S S! durchzog mein Gehirn.
Der Neurologe stimmte dem zu, erklärte, das sei ja kein neurologisches Problem und ging schnell wieder weg.
Prinzipiell hätte ich das alles als gefäßchirugisches Problem deklariert, aber es gab keine Gefäßchirurgen in der Gegend, deswegen war es jetzt erst mal ein internistisches Problem und der Internist, tja das war ich.
Nun sollte ich meine Gefäßverschlusstheorie nur noch ausführlicher und möglichst schnell beweisen, denn ehrlich gesagt, über so etwas hatte ich bis jetzt nur in großen Büchern gelesen, die Namen trugen wie: „1000 Krankheiten in kleiner grauer Schrift“ oder auch „Diese Buch ist nichts für Weitsichtige.“