Samstag, 25. Juli 2015

Die Aristokratentöchter



Die Schwester legte das Telefon auf zog ein langes Gesicht und sagte dann zu mir: „Das Labor hat gerade angerufen. Herr Kaiser hat MRSA UND Chlostridien.“
Na super, dachte ich mir und wir verwandelten Herrn Kaiser Zimmer in ein tolles Isolationszimmer, mit „ACHTUNG“ Schild vorn dran und großem Vorrat an Schutzkitteln, Handschuhen und Mundschutz davor.
Kurze Zeit später kündigte man mir die, nennen wir es mal aristokratischen Töchter von Herrn Kaiser an und dass ich sie mit den Details der Krankheitsentwicklung beglücken solle.
Die aristokratischen Töchter hatten lange, blonde Haare, welche sie in edlen Knoten an den Hinterkopf wanden, geschmackvoll aufeinander abgestimmte Businesskleidung und Handtaschen, deren Designer ich nicht kann aber das lag an mir und ich bin sicher sie waren sehr exklusiv (also beide: die Handtaschen und die Designer). Außerdem redeten sie französisch, wenn man nicht hinschaute. Die Töchter. Glaube ich. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.
Naja ich hatte dann erst keine Zeit, weil ich ein Langzeit-EKG auswerten sollte. Die Schwester gab den Töchtern also eine Einführung in Isolationszimmer und Schutzausrüstung anziehen blabla Arzt käme auch bald.


                                                                   
Das Langzeit-EKG war so toll, dass ich kurzfristig überlegte ob hier ein Undercover-Alien einen perfekten 24-Stunden-Sinusrhythmus simulierte. Auf jeden Fall gab es dann nicht viel auszuwerten und kurz später stellte ich mich vor Herrn Kaisers Zimmer und warf mir in das Set aus Mundschutz, Handschuhen und zu großem Kittel über (Sterntaler. Ich fühle mich mit diesem Kittel immer wie das Sterntalerkind.) So. Dann wanderte ich rein und es war nur eine Tochter da, die beschwerte sich aber gleich, dass die Bettwäsche des Vaters heute nicht gewechselt wurde und das Nachttischen nicht täglich abgewischt!! Das wäre hygienisch ja nicht vertretbar!
Ich schaute sie etwas fassungslos an und meinte dann, dass sie sich doch bitte sofort einen Mundschutz, Handschuhe und einen dieser Super-Sterntalerkittel anziehen solle. Das wäre hygienisch nämlich auch nicht vertretbar, wenn sie mir hier Chlostridien und MRSA gleichzeitig über die restliche Station verbreiten würde!
Wir haben uns dann nicht mehr so gut verstanden für den restlichen Aufenthalt, die Aristokratentöchter und ich. Unterschiedliche Hygieneprioritäten.

Montag, 20. Juli 2015

Mindestens 40° Celsius



Im Herzen der Klinik befindet sich ein kleiner, fensterloser Raum. Er enthält einen riesengroßen Laserdrucker, welcher 2 bis gefühlt 10 min nach Druckanforderung und mit vielen protestierenden „Ziiiüüüü“ „Üüüüüü“ „Grrrrr“ und „Pfffüüü“-Geräuschen wunderschön farbige Bilder ausspucken kann. Es gibt dann noch einen mittelgroßen PC, für das Formulieren der Druckanforderung und ein großes, schweres Ultraschallgerät. Zusammen heizen diese Geräte den Raum selbst im Winter problemlos auf komfortable 28°. Im Sommer, wenn nun schon die Restklinik die komfortablen 28° angenommen hat, beträgt die Temperatur in besagtem Raum vermutlich 40° und kurz nach betreten rinnt einem der Schweiß in die Augen, während man versucht ein tolles Ultraschallbild der lädierten Gallenblase von Herrn Müller zu performen.
Nun denn hatten die Schwestern Mitleid (und außerdem mussten sie öfters selbst das Zimmer betreten um z.B. Herrn Müller von der Untersuchungsliege in einen Transportstuhl zu schmeißen.) Daher bauten sie einen alten Ventilator neben den Computer und ich erfreute mich an verwirbelter Zugluft, die um das Sonogerät über meine Wangen strich (und meinen Hals und den Ultraschallarm.) „Gnä“, sagte Frau Brini-Glum, welche ich gerade auf der Liege deponiert hatte, „hier drin ist es ganz schön kühl! Wissen sie das?“ „WTF“, dachte ich, „Naja, wer weiß, vielleicht leidet diese Patientin an einem akuten Fieberschub.“
Frau Brini-Glums  Befund wurde vom protestierenden Drucker ausgedruckt. Nächster Patient.
„So Herr Rot und jetzt machen wir noch den Ultraschall.“
„Hier ist es kalt“, sagte Herr Rot, „kann ich eine Decke haben?“



Sonntag, 12. Juli 2015

Gras


Einmal vor 10 Jahren war Herrn Gehrding ein Dachlukenbrett auf den Kopf gefallen. Dies hatte die Halswirbelsäule von Herrn Gehrding nicht sonderlich erfreut und es hatte sich ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt. Außerdem war er heute beim Mittagessen bewusstlos geworden und landete nun zur Abklärung bei mir auf der Station. Schon am nächsten Tag trafen wir auf seine besorgte Frau und die erwachsene Tochter, welche sich lieber über die Schmerzen im Nacken unterhalten wollten.
„Also“, sagte die Tochter, sie verstände nicht, warum der Vater denn nicht Cannabis haben könne. Das wäre doch jetzt neu in den Medien und solle gut gegen Schmerzen helfen. „Hmhm“ sagte mein Oberarzt. Mit Herrn und Frau Gehrding, beides bodenständige Rentner, schien dies Frage nicht abgesprochen zu sein.
„Es gibt zwar diese Dronabinol-Kapseln aber ob…“
Die Tochter unterbrach uns hier, das wäre ja synthetisch. Dem stände sie eher misstrauisch gegenüber, wenn dann solle ja auch das natürliche Produkt verwendet werden und ob das nicht was für den Vater...?
„Hm, Herr Gehrding, rauchen sie denn? Oder haben sie mal geraucht?“ „Nein“, sagte Herr Gehrding höflich und sah verwirrt aus, weshalb wir auch bald unaufällig aus dem Zimmer flüchteten.



Sonntag, 5. Juli 2015

Beitrag, in dem ich endlich das Wort YOLO verwenden kann.



Es war also mitten in der Nacht. Gerade hatte ich den letzten Patienten in der Notaufnahme versorgt, die restlichen Patientin schliefen friedlich, und so dachte ich mir: „Ha. Das wäre eine gute Gelegenheit auch zu schlafen. Wozu sonst gibt es ein Dienstarztbett?!“
Ich wanderte also zur Pforte, auf dass mir die dort anwesende Dame den Schlüssel zum Ruhezimmer leihen würde.
„Wollen sie den wirklich haben?!“, fragte die Pfortendame misstrauisch.
„Äh ja, warum nicht?“
„Na da war gerade ein neuer Patient hier. Den habe ich gerade zu euch rübergeschickt.“
„Oh nein, was hat er?“
„Armschmerzen!“
Armschmerzen, dachte ich mir, das ist doch kein internistisches Problem. Das wird bestimmt ein chirurgischer Patient. Wobei natürlich:
„Rechter oder linker Arm?“
„Oh hm ich glaube rechts“, sagte die Pfortendame.
Gut! Internistische Probleme haben in der Regel nichts mit dem rechten Arm zu tun!
Außerdem no risk – no fun und YOLO:
Ich nahm den Schlüssel, erreichte glücklich das Dienstarztbett, machte einen Stapel aus Dienstarzttelefon, Schlüssel und Notizzetteln und ging schlafen.
Hier rief sogleich die Notaufnahmeschwester an: Da wäre ein Patient mit Schmerzen im rechten Arm. Der hätte Angst, er hätte einen Herzinfarkt. – Jaja, sie wüsste das wäre prinzipiell der falsche Arm für einen Herzinfarkt, doch was will man machen. Ein Arzt muss her.
Ich ging also hin, aber der Patient hatte überhaupt keinen Herzinfarkt, nur unspezifische Schmerzen in der rechten Hand. 



P.S. Ernsthaft, ich habe keine Ahnung ob Heuschrecken wirklich Extraherzen in den Beinen haben. Bin ich Tierarzt?!